Was bleibt oben, was fällt runter? Welche Kräfte wirken im Feld der Popkultur? Es gilt Konstellationen zu identifizieren, um Flugbahnen des Popgeschehens durchschauen und analysieren zu können. Dieser Band bietet verschiedene Perspektiven auf diese Konstellationen: Produzenten aus der Kulturwirtschaft kommen mit ihren Bestandsaufnahmen zu Wort. Nutzer sehen und behandeln die Dinge wieder anders als die Macher. Reflektoren hingegen sortieren, debattieren und kartografieren das Geschehen. Besonders im Fokus: der Kosmos Berlin. Hart treffen hier die Kräfte aufeinander. Was passiert in der Kulturw(...)
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Wie funktionieren Marken? Wie gelingt es, Produkte mit einer enormen medialen Aura auf dem Markt zu etablieren, während andere, vom Gebrauchswert her gleichwertige Produkte keine Aufmerksamkeit erhalten? Martin Andree hat ein Buch vorgelegt, welches diesen Fragen aus medienwissenschaftlicher Perspektive auf den Grund gehen möchte. "Das Phänomen Marke durchdringt die heutige Massenkommunikation vollständig", so der Autor gleich zu Beginn. Marken gelten, zumindest den marktaffinen Weltbeobachtern und -analysten, als wertvollste Zeichen der Welt. Eine Marke gilt auch als der Inbegriff erfolgreichen Kommunizierens, denn die Marketingkommunikation erzeugt einen semantischen Mehrwert, der letztlich zu einem ökonomischen Mehrwert wird. Martin Andree vermisst jedoch eine "Analyse, die die Fundierung des Marketing in der Medialität ernst nimmt" (S.12). Diese für ihn überraschende medienanalytische Lücke zu schließen ist das Anliegen dieses Buches. Zunächst hinterfragt der Autor zwei Legenden. Zum einen die ökonomische Fabel: Es gehe beim Marketing nur darum, Produkte zu verkaufen. Andree hält dagegen, dass es keine Produkte jenseits der Medien gäbe und verweist auf interessante Produkttests (z.B. für Creme), die die Abhängigkeit der Produktwahrnehmung von den medialen Informationen zeigten. "Das gesamte Produkt ist ein Ensemble kommunikativer Botschaften" (S. 15). Zum anderen hinterfragt er die geisteswissenschaftliche Fabel: Im ideologiekritischen Sinne werde beim Marketing immer manipuliert. Diese beiden theoretischen Positionen sind in ihrer Absolutheit problematisch. Daher analysiert Andree das Marketing v.a. als Kommunikationstechnik. So verstanden hat es nicht nur Bedeutung für die Vermarktung von Produkten, sondern spielt auch in Politik und Populärkultur eine entscheidende Rolle. Diesem Ansatz liegt die Auffassung zugrunde, dass Produkte 'aus Medien bestehen' und komplexe mediale Schichten vereinen. Das heißt, jedes Produkt setzt sich aus einer medialen Doppelform von 'Content' und 'Wert' zusammen. Naheliegender Weise bezieht sich Andree in seiner Analyse auf Theoreme der Marx'schen ökonomischen Theorie, z.B. den Doppelcharakter (Ware und Geld). Geld funktioniert dabei als Katalysator, der jeden Content (Ware) als Wert abbilden kann. Der Autor bezieht diese Denkfigur nun auf die Ebenen von Kultur und Politik und konstatiert, dass sich in all diesen Bereichen börsenähnliche Strukturen herausbildeten, die uns einen vergleichenden Blick auf einen schier unübersichtlichen (medialen) Markt gestatten. Wir kennen diesen in Form von Charts, Rankings usw. "Die Herausbildung solcher Börsenstrukturen ermöglicht die kontinuierliche mediale Wertbildung von Content […]. Wirtschaft, Politik und Kultur besitzen also eine vergleichbare mediale Fundamentalstruktur" (S.27). Fernsehen und Internet fungieren in diesen Strukturen wie eine Art Supermediator. Die medialen Strukturen des Markennamens verweisen auf ein breites semantisches Feld. Sehr anschaulich analysiert der Autor die verschiedenen Dimensionen eines Markennamens. Jener ist ikonographisch und emblematisch zugleich, er ist ein Zeichen, durch welches ein Produkt eine mediale Aura signalisiert. Andree erläutert facettenreich an konkreten Beispielen (Red Bull u.a.), wie modernes Marketing aufgebaut ist. Größte Bedeutung kommt hierbei dem Verbalkonzept zu, das die unsichtbare – oder zumindest für den Verbraucher kaum sichtbare – Brücke zwischen dem Zentrum (Markenname) und dem Halo der medialen Botschaften bildet. Das Verbalkonzept funktioniert über Transkriptionen, was nichts anderes bedeutet, als dass Begriffe, Namen und verbalisierte Zuweisungen auf alle medialen Ebenen des Kommunikationskonzeptes übertragen werden (Intermedialität). Wir kennen dies als 'ganzheitliche' bzw. 'selbstähnliche Markenführung'. Metaphorisch zieht Andree hier Parallelen zu anderen Wissenschaftsbereichen und setzt den Begriff der 'Epigenese' ein, der in der Vererbungslehre informationelle Wachstumsprozesse beschreibt. Mit diesem sprachlichen Verweis gelingt es ihm gut und knapp, den Prozess der Informationsvermittlung und -diversifikation zu erfassen. Mediale Epigenesen sind in zahlreichen Bereichen der menschlichen Kultur zu finden. Der Autor verweist hier u.a. auf christliche und säkulare Kulte. Im Unterschied zum Marketing laufen diese Epigenesen oftmals ungesteuert ab. Gutes, effizientes Marketing steuert diese Prozesse. Die Akteure handeln strategisch und reflexiv, sie 'planen' Kulte. So simpel dies erscheinen mag, so schwierig, kreativ und komplex ist die Umsetzung eines Vorhabens, in dessen Kern das Verbalkonzept steht. Logischerweise kommt der Autor nicht umhin, sich Fragen der 'Authentizität' zu widmen, denn bei unüberschaubar vielen medial gehypten 'Kulten' überleben letztlich nur die 'wahren', deren Kriterium (wahrgenommene) Authentizität ist. Diese definiert sich für den Autor vor allem im Zusammenhang mit Ursprünglichkeit (Herkunft des Produkts), also dem Anspruch auf 'Originalität' (im Sinne von Original, Unikat usw.). Der teilweise historisch angelegte Exkurs zum Spannungsverhältnis von Original und dessen Kopien, Imitaten, Repliken ist ausgesprochen lesenswert, veranschaulicht er doch auch, dass erst die industrielle Serienproduktion in der Warenwelt die Suche nach dem 'echten Gut' beförderte. Hier schließt sich der Kreis zum Begriff 'Marke': Markenprodukte erwecken den Eindruck, 'mehr' zu sein, sie "verweisen auf einen fiktiven Punkt jenseits der Sphäre der Fabrikation, in dem ihre ganze Echtheit, Wahrheit und Präsenz liegen soll. […] sie erfüllen ihre Funktion, Authentizität als Imagination zu codieren" (S.70). Hierzu dienen die medialen Schichten. Authentizität suggerieren beispielsweise Personennamen (Chanel), Marken-Botschafter (Prominente), Zertifikate (Stiftung Warentest) oder die Nennung besonderer Ingredienzen und Wirkprinzipien. Mythen und Storytelling sind ebenfalls wesentliche Bausteine zur Markenetablierung, denen das komplette fünfte Kapitel des Buches gewidmet ist. In ihm analysiert der Autor diverse Erzählstränge und -figurationen (z.B. Metamorphose, Aschenputtel etc.), die in Werbebotschaften zu finden sind. Dabei leitet Andree einige Überlegungen auch von Theorien zum Mythos (z.B. Cassirer) her, was die Analyse der werbespezifischen Mythogenese gut fundiert. Das Mythische kennzeichnet die narrative Dimension des Marketing, es ist das Strukturprinzip. Zentrale Botschaften werden auf ähnliche Weise erzählt, aber hinzukommende neue Metaphern und Stories verhindern den sogenannten 'wear-out-effect', das Verblassen einer Marke (als positives Beispiel: Kampagne Coloration Brilliance, S.94ff). Dankenswerterweise verschont uns der Autor mit einem Stakkato hohler Marketingbegriffe, sondern zeigt stattdessen ein hohes Interesse an philosophischen, poststrukturalistischen und etymologischen Herleitungen von Begriffen und Zusammenhängen. So finden sich immer wieder auch Verweise zu Derrida, Bourdieu, Goffman, Serres, Baudrillard u.v.a., die dem Buch eine gedankliche Reichhaltigkeit bescheren, die in Analysen zu diesem Gegenstandsbereich gemeinhin eher selten zu finden ist. Wem es gelingt Markenkulte zu kreieren, gelangt in den Olymp des Marketings. Kulte stellen eine Art semantische Verdichtung und Maximierung dar, die die vielen medialen Schichten zusammenführen. Dies gelingt mal mehr oder weniger. Auch Markenkulte sind zumeist Ausdruck kollektiver Identifizierungen: Aus Interesse wird Identifikation, aus einer Produktannahme werden Imitation oder Nachahmung, im besten Falle Rituale. All diese Aspekte sind in Andrees Abhandlung gut aufgeschlüsselt und theoretisch fundiert. Das ermöglicht einen grundlegenden Blick hinter die Kulissen der Werbewelt. Aufbau und Wirkungsweisen von Kampagnen werden durchschau- und analysierbar. Marketing bedeutet in diesem zirkulären, medialen Komplex nicht nur eine Orientierung am Markt, sondern am Marketing selbst. "Feedback ist also die informationelle Prozessform der Wirtschaft, indem kontinuierlich Outputs wieder in das jeweilige System selbst eingespeist werden und […] neue Outputs generiert werden" (S.128). Dem Autor gelingt es an dieser Stelle, jene Überlegungen zu verallgemeinern. Das Internet verändert alle Geschäfts- und Kommunikationsfelder durch Beschleunigung, das Wegfallen der beschränkten Kanalkapazität und die direkten Rückkanalprozesse. Das hat enorme Auswirkungen auf alle Content entwickelnden Strukturen. Dementsprechend gibt es ein hohes Interesse an der Entwicklung präziser 'mass feedback technologies'. Dass es Andree am Ende seiner Abhandlung ganz nebenbei gelingt, einen kurzen Abriss zur Sozialgeschichte des Konsums und ihrer Verflechtung mit der Mediengeschichte zu liefern, macht das Buch auch in dieser Hinsicht lesenswert. Pointiert seziert er abschließend die Inszenierung der 'Mission Accomplished'-Rede George W. Bushs vom Mai 2003 als ein prägendes Beispiel des politischen Marketings. Mit Verweis auf die Ereignisse des 11. September 2001 (auch ikonographisch: 9/11) resümiert er: "Das Machen der Realität durch die Medien geht auf im Marketing der Realität […]: Der Terrorakt, der sich gegen die Zentralsymbole der Marketingkultur richtet, kann zugleich nur noch mit den expressiven Mitteln der Marketingkultur in Erscheinung treten" (S.196). Mit diesem klugen Satz endet das Buch. Zuweilen fragt sich der geneigte Leser, ob der Autor die totale Durchkapitalisierung unseres Lebens und die zu beobachtende Totalität von Marketingaspekten in allen Bereichen nicht hätte stärker und kritischer hinterfragen können. Trotzdem: Martin Andree hat hier ein sehr gut lesbares, kenntnisreiches und mit vielen Beispielen angereichertes Buch vorgelegt, das allen Medienwissenschaftlern empfohlen sei, die mehr zu Hintergründen von Hypes, Markenbildung und -führung sowie heutigen Kommunikationsprozessen erfahren möchten.
Im zwanzigsten Jahr des Mauerfalls werden die Sedimente der DDR-Geschichte weiter abgetragen. Manchmal handelt es sich mittlerweile auch um neue Aufschüttungen, die sich zu Schuttbergen türmen, in denen die Stücke und das Gerümpel der Geschichte poliert oder zerfetzt werden. Je nach dem. Henning Wrages sorgfältige und eloquente Studie steigt in diese Arbeit an der Geschichte ein. Gleich zu Beginn (S. 1f.) stellt er nahezu verwundert eine der zentralen Fragen seiner Kulturgeschichte, nämlich wie die "systematische Inhaftierung eines ganzen Landes" am 13. August 1961 von den Künstlern dieses Landes als Aufbruchssignal begrüßt werden konnte. Die Bejahung sei ein Akt isolationistischer Hoffnung gewesen, um am Aufbau des Sozialismus und seiner Kultur arbeiten zu können. Die in der Tat einsetzende kurzzeitige Milderung des parteilichen Kontrollanspruchs und des freizügigen Gewährens währte nur kurz. Mit dem berüchtigten 11. Plenum 1965 wurde die angenommene "echte Kunstfreiheit" erneut stranguliert. Henning Wrage konzentriert sich auf die Periode der sechziger Jahre und versucht anhand dreier wichtiger Medien jener Zeit - Literatur, Film und Fernsehen - die Binnenlogik des kulturellen Diskurses, die "Denkwirklichkeiten" (Hans Mayer) zu rekonstruieren und zu sezieren. Für den Autor ist dies nach eigenem Bekunden die "vielleicht interessanteste Phase der Kulturgeschichte der DDR", was sich in den Werken jener Zeit zeigt, denen er eine verblüffende Kohärenz ihrer Geschichten attestiert.& Wrage arbeitete sechs Jahre lang im DFG-Forschungsprojekt "Programmgeschichte des DDR-Fernsehens" in dem Schwerpunkt Literaturverfilmungen. Die jetzt hier vorgelegte, außerordentlich kenntnisreiche Arbeit ist in dieser Zeit entstanden. Wrage widmet sich in seinen ausgewählten Einzelanalysen vor allem damaligen Gegenwartsstoffen. Kriterien seiner Auswahl waren die Bedingungen, dass diese Werke wichtige Debatten auslösten oder an die Grenzen des diskursiven Geheges stießen oder auch verboten wurden. Allen Werken ist gemeinsam, dass sie Maßstäbe setzten. So entsteht ein illustres Bild jener "Denkwirklichkeiten", das von Christa Wolfs frühen Arbeiten bis hin zu dem verbotenen Fernsehfilm Monolog für einen Taxifahrer reicht. Wrage gliedert seine Studie in drei große mediale Abschnitte: Literatur, Film und Fernsehen. Das macht Sinn, entstanden doch in allen drei Bereichen höchst interessante, innovative und moderne Formate, um der großen Erzählung ausdrucksstarke Formen zu geben. Eine Stärke seiner Analyse liegt in der komparativen Herangehensweise. Der Autor vergleicht die narrative Essenz der verschiedenen Werke und arbeitet Interdependenzen, Parallelen und Spezifika heraus. In seiner theoretischen Argumentation setzt Wrage auf mehrere Ansätze. Im Kapitel 2.2. über DDR-Theorien referiert der Autor zunächst drei Modelle, um DDR-Kultur und -Gesellschaft zu erklären: Die 'traditionelle' instrumentalisierungstheoretische Position, Bourdieus distinktionssoziologische Theorie des literarischen Feldes und die Systemtheorie. Der Autor diskutiert souverän diese Ansätze historisch und theoretisch, aber letztlich auch im grellen Licht heutiger politischer Dispute und verweist auf die Grenzen dieser Ansätze. Wrage ist hier eine sehr fundierte Diskussion zu Theorien über die DDR gelungen, die weit über sein Themenfeld hinausgeht. Hier ist vor allem die Diskussion totalitarismustheoretischer Annahmen hervorzuheben. Die Anwendung des umstrittenen Begriffs auf die geschlossene, kleinbürgerliche DDR-Gesellschaft beschwört unsägliche Analogien zum Dritten Reich herauf. Es bleibt ein Minenfeld im Diskurs der deutschen Geschichtswissenschaft. Wrage gelingt es jedoch, diesen Ansatz systemtheoretisch für sein Untersuchungsfeld zu funktionalisieren und einen interessanten Erkenntnisgewinn für sein Thema daraus zu formulieren, nämlich dass dem totalen oder umfassenden Sinnversprechen dieser Gesellschaft eben auch die Eigendynamik individuellen Handelns zugehörig ist, aber auch entgegensteht. Die künstlerischen Akteure waren somit nicht nur einem generalisierenden Sinnversprechen emphatisch zugewandt, sondern auch ausgesetzt. Die Kunst muss sogar um ihrer Selbst willen sich als das Andere positionieren - eine nahezu groteske Prozedur, die dieses kulturelle Feld mit einer hohen Ambivalenz ausstattet. Auf der Suche nach eindeutigen Zuweisungen vernachlässigen heutige Aufarbeitungsapparaturen oftmals diese Ambivalenz. Wrage diskutiert diese Aspekte sehr ausgewogen. Sein Literaturkapitelbeginnt mit einer Kontextualisierung der Literaturentwicklungen der fünfziger und sechziger Jahre, für die er drei prägende Dispositive sieht: den Bitterfelder Weg, den Mauerbau sowie das Auftauchen einer Schriftstellergeneration der um 1930 Geborenen, die das Dritte Reich als Kindheitsmuster erfuhren. Florian Illies hat kürzlich in der Zeit auf die verblüffende Präsenz des Jahrganges 1929 in der neueren deutschen Geistesgeschichte hingewiesen: "Es ist ein Jahrgang, der Glück hatte und dies auch wusste, es ist die 'Gnade der späten Geburt' (Günter Gaus, Jahrgang 1929). Und der deshalb die innere Stabilität und Kraft hatte, immer aufs Neue die ungenutzten Möglichkeiten, die unerforschten Wege, die großen Herausforderungen zu sehen (des Romans, der Lyrik, der Geschichte, des Menschen, der Moderne). [.] Dieser Jahrgang will trotz der ungeheuren Erschütterungen, die er in seiner Kindheit erlebt hat, das 'Dritte Reich' nicht als Sicht- und Lärmschutzwand zur Vergangenheit akzeptieren. Deshalb der unermüdliche Kampf um das Anknüpfen an ein Ideenkontinuum, das bis nach Athen reicht [.]." [1] Dieser Generationsfaktor ist in der Bundesrepublik wie in der DDR gleichermaßen zu beobachten, mit solchen Protagonisten wie Hans Magnus Enzensberger, Jürgen Habermas, Peter Rühmkorf, Walter Kempowski, Christa Wolf, Heiner Müller, Günter Kunert oder auch Günter Grass (Jg. 1927). Ihnen ging es immer auch um das Freilegen aufklärerischer Traditionslinien. Für alle drei Bereiche verdeutlicht Henning Wrage anhand seiner Einzelanalysen die Thesen zum Spannungsverhältnis von "Großer Geschichte" und individuellem Glücksanspruch. Für die Literatur sind dies u. a. Karl-Heinz Jakobs' Beschreibung eines Sommers (1961), frühe Werke von Christa Wolf wie Der geteilte Himmel (1963), Franz Fühmanns Kabelkran und Blauer Peter (1961) und Erwin Strittmatters Ole Bienkopp (1963). Analog dazu verfährt der Autor auch mit den anderen Untersuchungsbereichen. Er kontextualisiert das Medium DEFA-Film und exemplifiziert seine Thesen anhand einiger Produktionen, wie den verbotenen Filmen Berlin um die Ecke (1965, Regie: Gerhard Klein, Autor: Wolfgang Kohlhaase) und Denk bloß nicht, ich heule (1964/65, Regie: Frank Vogel) sowie die Verfilmung von Beschreibung eines Sommers (1962, Regie: Ralf Kirsten). Für das Fernsehen, dessen Kontexte ebenfalls ausführlich dargestellt werden, analysiert der Autor den Fernsehroman Gewissen in Aufruhr (1961, Regie: Hans-Joachim Kasprzik, Günter Reisch), die sehr ambitionierten, stigmatisierten und hoch artifiziellen Produktionen von Günter Stahnke und Günter Kunert Monolog für einen Taxifahrer (1962) und Fetzers Flucht (1962) sowie die Fühmann-Adaption Helling, Kabelkran und Kai (1962, Regie: Hugo Herrmann). Wrage gelingt es in allen Fällen, die provozierenden, ambivalenten und dialektischen Potentiale dieser Werke herauszuarbeiten. Hervorzuheben ist ebenfalls die werkanalytische Sorgfalt des Autors, der mit den Fallstudien ein gutes Beispiel - auch im didaktischen Sinne - dafür liefert, wie eine gründliche Film- und Literaturanalyse aussehen kann.Allerdings schießt der brillant formulierende Autor an einigen Stellen über das Ziel hinaus. So wird z. B. die Antennenzerstörungsaktion "Ochsenkopf" bei ihm zu einer "quasiterroristischen" Handlung (S. 262). In diesem Sprachgebrauch zeigt sich neben einem sehr unbefangenen und durchaus erfrischenden Duktus ein teilweise pop-zeitgeistiger Sprachstil, der sich inhaltlich oft auch dem gängigen historischen Bewertungsmainstream unterordnet. Im sorgfältig arrangierten Fakten- und Diskurspuzzle des Autors wirken solche polemischen Pirouetten manchmal aufgesetzt. An einigen Stellen des Buches hält der Leser so inne und stutzt. Aber vielleicht ist dies auch eine neue Art des Textmarkings. Das Verdienst Henning Wrages ist es, nicht nur eine Lesart künstlerischer Produkte aus der DDR anzubieten, die für die bundesrepublikanische Rezeption kompatible kommunikative Oberflächen bereit hält, sondern die sich dem utopischen Entwurf einer auch aus Schuld und Scham erwachsenen Gesellschaft widmet, die letztlich zweieinhalb Jahrzehnte später unspektakulär, aber folgenreich scheitert. Ein paar Bemerkungen zum komparativen Anspruch seien an dieser Stelle noch vorgetragen. Das vergleichende Prinzip verfolgt Henning Wrage durchaus stringent, wenn er die narrativen Strukturen der Werke betrachtet. Ergänzend hätten sich bei den Werkbeschreibungen noch mehr Analogien zur bundesdeutschen oder europäischen Filmentwicklung formulieren lassen, wie das Wrage beispielsweise am Beginn des Kapitels 5.2. (S. 277) tut, in dem er DDR-Produktionen in Beziehung zu Umgelters WDR-Produktion Soweit die Füße tragen (1958/59) setzt. Damit wäre es möglich, die Entwicklungen auch in ihr globales Umfeld einzubetten. Auch in Westeuropa sind die sechziger Jahre eine Zeit des generativen Aufbegehrens. Dem komparativen Anspruch, den der Autor zu Beginn formuliert, hätte er so noch einige Facetten hinzufügen können. Vielleicht ist die Schwäche der länderübergreifenden Komparatistik auch dem Umstand geschuldet, dass es gar nicht so viel zu vergleichen gab oder dass die Protagonisten diese Vergleiche ablehnten? Es bleibt festzuhalten, dass Henning Wrage ein angenehm zu lesendes, faktenreiches und fundiertes Werk zu einer wesentlichen Periode der DDR-Kulturgeschichte vorgelegt hat. "Die Hoffnung, Sinnverlust - Ambivalenz - in Ordnung zu überführen, wird mit der Gründung der DDR erneuert" (S. 372), auch in Kunst und Kultur. Sie ist, wie wir wissen, gescheitert.
Nach dem Auslaufen des 89er Protestzyklus gab es zwei weitere: der erste wurde von den ursprünglichen Kräften, den Bürgerbewegungen, getragen. Anlaß war die Unklarheit über den Verbleib der Stasi-Akten. Der zweite Zyklus begann mit dem Ausbruch des Golfkrieges. Neben den Aktivisten der Bürgerbewegung protestierten Schüler und Studenten. Der wirtschaftliche Umbruch mit dem massiven Abbau von Arbeitsplätzen hat dann im Frühjahr 1991 eine neue Welle von Abwanderung und Protesten ausgelöst. Bei den Arbeitern setzte sich die schon im Winter 1989/90 beobachtbare Tendenz fort, nur als Masse, nicht aber als Akteur präsent zu sein. Das Organisieren und Reden wurde westlichen Funktionären überlassen. In der Folge verkam die Öffentlichkeitsform "Montagsdemo" zu einer Spielwiese für westliche Polittouristen, rechte Nationalisten, Provinzpolitiker und Wahlkämpfer. An die Stelle des orginellen Spotts traten die faden Klagen. Die "Montagsdemo" hatte ihren Bewegungscharakter und ihren basisdemokratischen Impetus eingebüßt. (pka)
Für Radio und Fernsehen müssen angesichts der Digitalisierung deren Verhältnis zum Publikum sowie ihre ökonomischen Grundlagen, Aufgaben und Funktionen neu definiert werden. Aufgabe der Medienhistoriker ist es, die damit verbundenen Umbrüche zu analysieren, mit früheren Umbrüchen in der Mediengeschichte zu vergleichen und diese einzuordnen. Die Jahrestagung 2012 des Studienkreises Rundfunk und Geschichte lieferte Fallbeispiele von tiefgreifenden Veränderungen der Massenmedien in den letzten 60 Jahren und diskutierte die Fragen: Welche prototypischen Strukturen von Medienumbrüchen lassen sich aus historischer Perspektive erkennen? Sind Umbrüche im Rundfunk prognostizierbar, steuerbar und stets gleichen Veränderungsmustern unterworfen? Die hier publizierten Vorträge und Referate sowie die dokumentierte Podiumsdiskussion mit erfahrenen Praktikern und Gestaltern des Mediensystems fanden im Mai 2012 in Leipzig anlässlich des ›Medientreffpunkts Mitteldeutschland‹ statt. Neben den einzelnen Fallbeispielen aus der Geschichte der Medien stellte Christa-Maria Ridder in einer Keynote die Veränderungen von Nutzungsmustern und Funktionen der Medien anhand der seit 1964 durchgeführten ARD/ZDF-Langzeitstudie 'Massenkommunikation' dar. Reinhold Viehoff analysierte aus der medienhistorischen Langzeitperspektive die umwälzenden Dimensionen der digitalen Entwicklung. Er problematisierte dabei die hiermit verbundenen gesellschaftlichen Herausforderungen, die weit in die Bereiche von Ethik, Recht und Moral sowie von sozialem Zusammenhalt hineinreichen. Der vorliegende Band bietet profunde medienhistorische Analysen und Perspektiven, die für die Bewertung aktueller Entwicklungen nicht nur theoretisch, sondern auch empirisch relevant sind.
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